Sozialwahl 2023: "Fünf Fragen an ..." TK-Vorstand Thomas Ballast
Interview aus Niedersachsen
Am 31. Mai 2023 ist die Sozialwahl. Bei der Sozialwahl werden die Vertreterinnen und Vertreter der Selbstverwaltungen der gesetzlichen Sozialversicherungsträger gewählt. Sie findet alle sechs Jahre statt. 2023 dürfen die Krankenkassen ihren Mitgliedern erstmals neben der traditionellen Briefwahl auch eine Online-Wahl ermöglichen. Wir haben unseren stellvertretenen Vorstandsvorsitzenden und Leiter des Wahlausschusses der Techniker Krankenkasse (TK), Thomas Ballast, zur Sozialwahl befragt.
TK: Herr Ballast, warum sind Sozialwahlen gerade in der heutigen Zeit wichtig?
Thomas Ballast: Viele Krankenkassen wurden als Hilfskassen zur gegenseitigen Unterstützung der Mitglieder gegründet, die diese damals schon selbst verwalteten. Dies gilt auch für die TK, bei der allesamt Menschen in technischen Berufen Mitglied waren. Heute sind alle Krankenkassen nach diesem Prinzip der Selbstverwaltung organisiert. Das bedeutet unter anderem, dass sie nicht durch den Staat, sondern im Rahmen der gesetzlichen Vorschriften durch ihre eigenen Mitglieder verwaltet wird. Bei der Sozialwahl können die Mitglieder der Krankenkassen - auch der TK - alle sechs Jahre bestimmen, wer ihre Interessen in der Selbstverwaltung vertreten sollen. Dieses Mitspracherecht halte ich für etwas ganz Besonderes.
Außerdem ist das Wahlrecht Teil unseres demokratischen Grundverständnisses, dem gerade in der heutigen Zeit eine besondere Bedeutung zukommt. Viele der aktuellen Krisen auf dieser Welt zeigen: Eine Demokratie und die damit verbundenen Rechte sind nicht selbstverständlich. Umso wichtiger, dass sich möglichst viele Mitglieder für die Stimmabgabe entscheiden und von ihrem Grundrecht Gebrauch machen, um das demokratische Verständnis in unserer Gesellschaft zu festigen.
Umso wichtiger, dass sich möglichst viele Mitglieder für die Stimmabgabe entscheiden und von ihrem Grundrecht Gebrauch machen, um das demokratische Verständnis in unserer Gesellschaft zu festigen.
TK: Vor welchen Herausforderungen steht die Selbstverwaltung insgesamt und die der TK in den kommenden Jahren?
Ballast: Wir haben in den vergangenen Jahren immer wieder Eingriffe der Politik in die Aufgaben und Zuständigkeiten der Selbstverwaltung erlebt. Das bedrückendste Beispiel ist sicher der mehrfache Griff in die Rücklagen der einzelnen Kassen, um finanzielle Probleme in der gesetzlichen Krankenversicherung insgesamt zu überbrücken - klare staatliche Eingriffe in die Beitragsautonomie der Krankenkassen. Ein weiteres Beispiel ist die Übernahme der Mehrheitsanteile an der Gematik durch das Bundesministerium für Gesundheit - ohne Kompensation und vor allem bei unveränderter 100%-Finanzierung durch die GKV: bezahlen ohne Einfluss.
Politiker liebäugeln immer mal wieder damit, das Gesundheitssystem staatsnäher aufzustellen und in Konsequenz daraus die Selbstverwaltung abzuschaffen. Dabei gibt es viele Beispiele für zentralistisch organisierte Gesundheitssysteme in der Welt, wie beispielsweise den NHS in Großbritannien, die finanziell, personell und strukturell weitaus schlechter aufgestellt sind als unser selbstverwaltetes Gesundheitssystem. Diesen Tendenzen müssen wir mit einer gut organisierten Zusammenarbeit aller Akteure im Gesundheitssystem begegnen.
Wie in vielen anderen Bereichen ist es aber nicht immer einfach, begeisterte Menschen zu finden, die sich ehrenamtlich in der Selbstverwaltung engagieren möchten. Hier gilt es, die Bedeutung und den Gestaltungsspielraum noch klarer zu vermitteln, um das Interesse an einer Aufgabe in der Selbstverwaltung zu wecken und sie somit auch personell weiterhin auf sichere Beine zu stellen.
TK: In diesem Jahr gibt es zum ersten Mal die Möglichkeit bei einigen Krankenkassen, auch online zu wählen, die TK ist dabei. Was waren die Herausforderungen bei der Vorbereitung?
Ballast: Vorbereitet wurde die digitale Stimmabgabe durch eine Arbeitsgemeinschaft zum Modellprojekt Online-Wahlen 2023, die im Oktober 2020 durch 15 Krankenkassen gegründet wurde. Allein so ein kassenartenübergreifendes Projekt ist schon etwas Besonderes und natürlich ein organisatorischer Aufwand. Bei der Zusammenarbeit haben wir uns eng abgestimmt mit dem Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik und dem Bundesministerium für Gesundheit, die hohe Anforderungen für die Online-Wahl festgelegt haben. Dazu zählt unter anderem, dass die Wahlhandlung besonders geschützt sein muss - gemäß der Technischen Richtlinie zur Informationssicherheit sowie der Online-Wahl-Verordnung.
Eine Online-Wahl in der Größenordnung hat es in Deutschland noch nicht gegeben. Hier haben wir als Arbeitsgemeinschaft echte Pionierarbeit geleistet und technische Hürden gemeistert, die auch für kommende Sozialwahlen bedeutend sind.
Eine Online-Wahl in der Größenordnung hat es in Deutschland noch nicht gegeben.
TK: Besteht Ihrer Erfahrung nach überhaupt ein Wunsch nach Beteiligung an gesundheitspolitischen Entscheidungen in der Bevölkerung?
Ballast: Definitiv! Bei einer repräsentativen Bevölkerungsumfrage äußerten im August 2022 sogar 69 Prozent der Befragten den Wunsch, stärker in politische Entscheidungen zur Gesundheitsversorgung einbezogen zu werden. Die Sozialwahl als eine Form eben dieser Mitsprache ist für die Mehrheit - ebenfalls 69 Prozent - wichtig oder sehr wichtig. Unter den weiblichen Befragten, den Menschen über 60, chronisch Kranken und allgemein gesundheitspolitisch interessierten Befragten sind die Zustimmungswerte mit jeweils rund 75 Prozent besonders hoch.
TK: Eine starke Selbstverwaltung ist für das deutsche Gesundheitssystem besonders wichtig. Was ist Ihr Wunsch für den Wahltag?
Ballast: Ich hoffe auf ein möglichst großes Interesse an der Sozialwahl. Das erkennt man am besten an einer hohen Wahlbeteiligung. Ich wünsche mir deshalb, dass möglichst viele TK-Mitglieder von ihrem Wahlrecht Gebrauch machen. Ich bin froh, dass wir in diesem Jahr unseren Mitgliedern anbieten können, auch bequem am PC oder Smartphone zu wählen. Diese orts- und zeitunabhängige Möglichkeit der Stimmabgabe vereinfacht den Prozess und motiviert hoffentlich noch mehr Menschen, sich an der Sozialwahl zu beteiligen.