"Hochwertige Schlaganfall-Versorgung ist ohne Telemedizin nicht möglich"
Interview aus Baden-Württemberg
Interview mit dem Heidelberger Professor Dr. Christoph Gumbinger, Sprecher der Kommission "Telemedizinische Schlaganfallversorgung" der Deutschen Schlaganfall Gesellschaft.
Über Telekonsile können Neurologinnen und Neurologen an spezialisierten Zentren schnell - und damit oft lebensrettend - in Diagnose und Therapie bei Schlaganfall eingreifen. Per Video werden die behandelnden Ärztinnen und Ärzte im Rettungsdienst oder an kleineren Kliniken effektiv unterstützt. In Deutschland sind über 20 telemedizinische Netzwerke mit mehr als 200 neurologischen Kliniken miteinander verbunden.
TK: Herr Professor Gumbinger, wie viele Schlaganfallnetzwerke gibt es in Baden-Württemberg?
Prof. Dr. Christoph Gumbinger: In Baden-Württemberg sind drei Schlaganfallnetzwerke ansässig, wobei die allermeisten Kliniken von zwei Schlaganfallnetzwerken - FRITS aus Freiburg mit elf Kliniken und dem Heidelberger FAST-Tele-Netzwerk mit insgesamt acht Partnerkliniken - heraus betreut werden. Ein weiteres Schlaganfallnetzwerk, Stroke-ARTEV in Karlsruhe, betreut auch zwei Kliniken in Rheinland-Pfalz. Eine Klinik in Baden-Württemberg - nämlich die Rotkreuzklinik Wertheim - wird von einen bayrischen Schlaganfallnetzwerk betreut.
TK: Wie groß ist der Anteil der Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten in Baden-Württemberg, die telemedizinisch betreut werden?
Prof. Gumbinger: In Baden-Württemberg werden rund 8,5 Prozent der Schlaganfall-Patientinnen und -Patienten via Telekonsil mitbehandelt. Es gibt eine Unschärfe, da Patientinnen und Patienten, die nach dem Konsil sofort in eine andere Klinik weiterverlegt werden, nicht stationär aufgenommen und damit von der Qualitätssicherung nicht erfasst werden, so dass sie in der Zahl oben nicht erfasst sind.
TK: Wie steht Baden-Württemberg damit im bundesweiten Vergleich da?
Prof. Gumbinger: Bundesweit werden etwa zehn Prozent der Schlaganfall-Patienten und -Patientinnen telemedizinisch behandelt. In Baden-Württemberg gibt es relativ viele Kliniken, die tagsüber einen Neurologen oder eine Neurologin in Präsenz da haben und nur außerhalb der Dienstzeit telemedizinisch gestützt werden. Also auch in Baden-Württemberg wäre die Versorgung, so wie wir sie jetzt kennen, ohne Telemedizin nicht möglich.
TK: Welches weitere Potenzial sehen Sie bei der Telemedizin in der Schlaganfallversorgung?
Prof. Gumbinger: Zur Sicherstellung eines flächendeckenden heimatnahen und damit schnellen Zugangs zu einer hochwertigen Schlaganfallversorgung ist die Telemedizin essentiell. Das Konzept von Telemedizinischer Schlaganfallversorgung ist ein Gesamtkonzept. Teil des Konzeptes ist, dass die Zentren auch zu einen Kompetenzaufbau vor Ort beitragen - einerseits durch regelmäßige Schulungen, anderseits durch Audits und Qualitätsbesprechungen und ein Feedbacksystem. Es besteht also ein Potential zur Sicherstellung einer hochwertigen Versorgung in der Fläche - inklusive der ländlichen Regionen. Es gibt Kliniken, die so große Schwierigkeiten haben Personal für den Präsenzdienst zu rekrutieren, dass sie erwägen, auf telemedizinische Unterstützung umzustellen. Auch da hat die Teleneurologie das Potential, die Versorgung dauerhaft sicherzustellen.
Ich sehe zudem ein erhebliches Potential in der Miteinbeziehung des Teleneurologen in den Telenotarzt. Hier kann man sich mehrere Anwendungsfelder vorstellen: Einerseits bei Verlegungspatienten zur Thrombektomie. Dies kann sehr zeitkritische Prozesse erheblich beschleunigen, da die Übergaben an den Präsenznotarzt entfallen, wenn der Teleneurologe auch die Verlegungsfahrt begleitet.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat eine Einbeziehung der Teleneurologie in den Telenotarzt gefordert. In Baden-Württemberg sieht es aber dabei - im Gegensatz zu anderen Bundesländern - mau aus. Auch hat eine per Telemedizin zuschaltbare Expertise im Rettungsdienst sicher das Potential zur Verbesserung der Versorgung. So kann zum Beispiel ein erfahrener Teleneurologe bzw. eine erfahrende Teleradiologin gut entscheiden, welche Patientinnen oder Patienten direkt in ein Zentrum gebracht werden sollten.
TK: Wo liegen aus Ihrer Sicht die größten Hürden für einen weiteren Ausbau der Telemedizin in der Schlaganfall-Versorgung in Baden-Württemberg?
Prof. Gumbinger: Wie gesagt sind wir Neurologen beim Thema Telenotarzt noch außen vor. Und das obwohl Notärztinnen und Notärzte mit Schlaganfall-Patienten und -Patientinnen vergleichsweise nur selten in Kontakt kommen, da Schlaganfall keine klassische Notarztindikation im Rettungsdienst ist. Trotzdem wird das gerne als Argument dafür vorgebracht, dass der - meist anästhesiologische - Telenotarzt ausreicht.
Ein sehr wichtiger Punkt: Baden-Württemberg hat es leider verpasst, eine nachhaltige Finanzierung für die telemedizinische Schlaganfallversorgung zu etablieren. In Baden-Württemberg und den meisten anderen Bundesländern müssen die Kliniken, die Telemedizin einsetzen, eine Abgabe an das Netzwerkzentrum zahlen, die ihnen nicht erstattet wird. Das haben einige Bundesländer wie z.B. Bayern deutlich besser gemacht. Da wird an die Kliniken, die die Telemedizin einsetzen, ein Zusatzentgelt bezahlt, das zur Finanzierung der Netzwerkzentren dient. Ohne dieses Zusatzentgelt kann die Teleneurologie in den Netzwerkzentren nach unserer Auffassung nicht kostendeckend betrieben werden.
Die Deutsche Schlaganfallgesellschaft führt eine Zertifizierung für die telemedizinischen Netzwerke ein. Da werden es die Netzwerke in Baden-Württemberg sehr schwer haben und durch die mangelnde Finanzierung besteht die Gefahr, dass nur ein Teil der telemedizinisch möglichen Leistungen realisiert werden kann.
Zur Person
Professor Dr. Christoph Gumbinger aus Heidelberg ist Sprecher der Kommission "Telemedizinsche Schlaganfallversorgung" der Deutschen Schlaganfall Gesellschaft. In dieser Kommission kooperieren alle deutschen Telestroke-Netzwerke. Sie versteht sich als die zentrale Ansprechpartnerin, wenn es um die Belange und Entwicklung der telemedizinischen Schlaganfallbehandlung geht.